Es ist ein schöner alter Brauch, dass der Monat Mai in besonderer Weise der Gottesmutter Maria geweiht ist.

Vielen ist Maria seit frühsten Kindertagen eine vertraute Gestalt. Wir kennen die Lieder zu ihrer Ehre, die Bilder, Blumen und Kerzen. Selbst Menschen, die ein eher gespanntes Verhältnis zur Kirche haben, kommen hin und wieder still und manchmal fast ein wenig scheu vor das Bild oder die Statue der Mutter Gottes, zünden eine Kerze an, und meistens schwingt dann eine stille Bitte mit.

Auch die Maiandachten, die in vielen Pfarreien noch heute ihren Platz haben, sind Ausdruck dieser besonderen Marienverehrung: Menschen richten ihren Blick auf das Beispiel Marias und bitten sie um ihre Fürsprache in ihren ganz persönlichen Anliegen, aber auch in den grossen Fragen und Sorgen ihrer Zeit.

Leider fallen auch die geplante Maiandacht vom 5. Mai in Wängi sowie jene der Frauengemeinschaft vom 12. Mai dem Versammlungsverbot im Zusammenhang mit dem Corona-Virus zum Opfer.

Stattdessen lade ich Sie an dieser Stelle zu einer Betrachtung zum Lied "Maria, dich lieben" ein. Durch die 6 Strophen des Liedes begleiten wir Maria von der Verkündigung durch ihren Alltag bis hin zum Kreuz und fragen uns, inwiefern ihr Weg auch unser Weg ist. Und vielleicht finden dabei ja auch jene den einen oder andern Impuls für ihr Leben, die eher ratlos vor dem Bild Marias stehen…

1. "Maria, dich lieben, ist allzeit mein Sinn; dir wurde die Fülle der Gnaden verliehn: Du Jungfrau, auf dich hat der Geist sich gesenkt; du Mutter hast uns den Erlöser geschenkt."

Maria, du bist jung, unbeschwert. Plötzlich erfährst du, was auf dich zukommt. Du ahnst, dass es nicht leicht werden wird. Du fragst dich: Werde ich das alles schaffen? Wer hält zu mir? Angst und Hoffnung sind gepaart.

Wie viele Tage gibt es auch in meinen Leben, in denen ich schwanke zwischen Angst und Hoffnung; Tage, an denen schon allein der Gedanke an die Anforderungen und die Aufgaben, die auf mich zukommen, mich belasten und mir Angst machen.

2. "Dein Herz war der Liebe des Höchsten geweiht; du warst für die Botschaft des Engels bereit. Du sprachst: Mir geschehe, wie du es gesagt. Dem Herrn will ich dienen, ich bin seine Magd."

Du bist in froher Erwartung. Du freust dich auf dein Kind. Oft wird dir aber auch eine Tür brutal zugeschlagen. Dein Mut sinkt, du fühlst dich verletzt, zurückgesetzt, schwach

und ausgelaugt. Die Geburt deines Erstgeborenen hast du dir anders vorgestellt. Du musst flüchten und um sein Leben bangen. Aber du erfährst auch Zuneigung und unerwartete Hilfsbereitschaft. Licht, das du gerade jetzt zum Leben brauchst.

Erfahren wir das nicht auch in unserem Leben? So vieles, das anders kommt und anders verläuft, als wir uns dies vorgestellt haben – doch dann plötzlich ein unerwartetes Hilfsangebot, ein Zuspruch, der guttut, ein neuer Weg, der sich auftut…

3. "Du Frau aus dem Volke, von Gott ausersehn, dem Heiland auf Erden zur Seite zu stehn, kennst Arbeit und Sorge ums tägliche Brot, die Mühsal des Lebens in Armut und Not."

Manches kommt anders als du erwartet hast. Enttäuschungen, Loslösen, Umdenken, Neubeginn. Dein Sohn redet, lehrt anders als du religiös erzogen und aufgewachsen bist. Du wirst gefordert, als Mensch, als Frau. In Dir beginnt ein Prozess, der schmerzt, aber zu tieferem Glauben führt.

Es kann sehr enttäuschend und schmerzhaft sein, wenn alles anders kommt, wenn man umdenken und etwas ganz neu anschauen, wenn man neu anfangen muss. Aber vielleicht haben wir auch dies schon erlebt: Im Nachhinein durften wir einsehen, dass uns der Prozess stärker gemacht hat, reifer…

4. "Du hast unterm Kreuze auf Jesus geschaut; er hat dir den Jünger als Sohn anvertraut. Du Mutter der Schmerzen, o mach uns bereit, bei Jesus zu stehen, in Kreuz und in Leid."

Es ist aus. Es geht nicht mehr weiter. Dein Sohn wird als Verbrecher verurteilt. Er hat sich den entleerten Traditionen und entstellten Gottesbildern widersetzt. Er hat Gerechtigkeit

und Barmherzigkeit, und nicht Macht und Gewalt gepredigt und gelebt. Weil er die vermeintliche Ordnung störte, musste er beseitigt werden. – Leid, Demütigung, Verrat, Grausamkeit, Tod. Du meinst, es geht nicht mehr weiter.

Wer von uns kennt sie nicht – vielleicht gerade in diesen Tagen: die Phasen im Leben, in denen wir einfach nicht mehr weitersehen, in denen wir am Ende scheinen; Phasen auch, in denen wir an unseren Aufgaben und den Anforderungen, die wir selbst oder andere an uns stellen, scheitern…

5. "Du Mutter der Gnaden, o reich uns die Hand auf all unsern Wegen durchs irdische Land. Hilf uns, deinen Kindern, in Not und Gefahr; mach allen, die suchen, den Sohn offenbar."

Doch: Das kann, darf, wird nicht alles sein! Es gibt einen Ostermorgen. Du erfährst es. Du bekommst langsam Antworten auf deine brennenden Fragen. Du weißt, dass du nicht allein bist in deinem Schmerz. Mein Herr und mein Gott! Du lebst. Jetzt und ewig. Und ich mit dir.

Manchmal ist es eine Hand, die anpackt, ein Wort im richtigen Moment, das Da-Sein und die Nähe eines Menschen, das wie ein Licht am Ende des Tunnels erscheint und uns eine Ahnung davon gibt, dass Auferstehung jetzt und hier möglich ist…

6. "Von Gott über Engel und Menschen gestellt, erfleh uns das Heil und den Frieden der Welt. Du Freude der Erde, du himmlische Zier: du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir."

Es gibt einen Neubeginn. Du erfährst neue Kraft in dir. Den Geist Gottes, den Geist, der verändert, wo es Not tut und der barmherzig ist. Den Geist, den man findet, wo Menschen gut sind und wo Liebe gelebt wird. Maria, du hast diesen Geist in dir, in deinem Leben erfahren und ihn für andere erfahrbar gemacht.

So möchte auch ich den Geist der Liebe und Kraft erfahren, ihn aber auch für andere erfahrbar machen – durch mein Leben, Tag für Tag.

Marienstatue
Archivbild Katholische Kirchgemeinde Wängi

 

Gebet

Maria, du gehst den Weg - den Weg der Zweifel, den Weg des Suchens, den Weg der Einsamkeit.

Du brichst auf mit Fragen, mit der Sehnsucht, die dich träumen lässt, mit der Ungewissheit, die bleibt.

Maria, du siehst den Weg der Menschen, das Zögern und Tasten, das Suchen, die Ängste und Fragen.

Du kennst die beschwerlichen Wege. Du kennst die Sorgen der Eltern und die Konflikte des Alltags.

Du singst mit uns die Lieder der Freude und weinst mit uns die Tränen der Trauer.

Du teilst mit uns Höhen und Tiefen.

Maria, Du stehst am Wegrand, unaufdringlich - als eine Frau, die uns den Weg zeigt zu Gott und zu uns selbst.

Maria, du bist mir nahe als Mutter mit deiner Liebe.

Maria, du bist mir nahe als eine Frau mitten unter uns.

Maria, du bist mir nahe als Mensch mit all deinen Sorgen.

Maria, du bist mir nahe als Mutter, die begleitet.

Maria, du bist mir nahe als eine Frau, die aufrecht geht und aushält.

Maria, du bist mir nahe als Mensch, der sich

kümmert.

Maria, Mutter Gottes, zeig mir immer wieder neu den Weg zu Jesus Christus, deinem Sohn. Amen